„Wo bin ich?“ fragte ich den Mann. Ich lag in einem Bett, anscheinend im Krankenhaus. Immer noch blickte ich zu dem Mann auf, aber er antwortete mir nicht. Stumm beobachtete er mich mit seinen hellen, blauen Augen. Im spärlichen Licht wirkten diese besonders unheimlich. Schwerfällig versuchte ich mich aufzurichten, aber mir tat alles weh. „Wo ist mein Bruder?“ Noch immer regte er sich nicht. „WO IST MEIN BRUDER?!“ schrie ich nun förmlich und war den Tränen ganz nahe. Angst kam in mir auf, ich wurde panisch als sich plötzlich die Zimmertür öffnete fuhr ich herum, doch es betrat keiner den Raum. Da stand niemand. „Er ist tot.“ sprach der Mann neben mir und ich schreckte auf. „Mike…“ murmelte ich nervös während die Bilder vom Krankenhaus vor meinen Augen langsam verschwammen und ich aufwachte.
Es dauerte einen kurzen Moment ehe ich begriff wo ich eigentlich war… ich war zu Hause, in meinem kleinen WG-Zimmer. Müde rappelte ich mich auf und setzte mich aufrecht hin. Vor mir auf dem Schreibtisch lagen mehrere meiner Lehrbücher aufgeschlagen und langsam erinnerte ich mich... anscheinend war ich beim Lernen eingeschlafen. Ein schneller Blick auf die Uhr verriet mir wie spät es war, zu spät… "Scheiße!" fluchte ich, denn nun hatte ich eine der Vorlesungen verschlafen. Ich seufzte während ich mich zurücklehnte. Für einen kurzen Moment überlegte ich meinem Bruder eine SMS zu schreiben oder ihn anzurufen, aber was sollte das jetzt bringen? Ich rappelte mich nun auf und packte meinen Unikram zusammen und beiseite. "Genug für heute..." murmelte ich erschöpft.
Ich hatte heute noch die sogenannte Frühschicht in einer heruntergekommen Tabledancebar. Frühschicht bedeutete nichts weiter als von zweiundzwanzig bis zwei Uhr nachts. Ich hasste Bill, meinen Chef, aber er zahlte uns, für unsere Arbeit, gutes Geld. Bill war ein dicker, großer Mann der bereits in die Jahre gekommen war, aber trotzdem hatte er großen Einfluss. Mit welchem Geld mich Bill bezahlte, war mir egal, denn es war bekannt, dass die Leute seine Bar nicht nur wegen der hübschen Frauen und der scheußlichen Cocktails besuchten. Bei jedem zweiten Besucher konnte man sich sicher sein, das er Dreck am Stecken hatte… und davon mit Sicherheit nicht zu wenig. Früh habe ich gelernt die Zweitgeschäfte gekonnt zu übersehen. Ich wollte damit nie etwas zu tun haben.
Meinem Bruder habe ich natürlich nie etwa davon erzählt, er würde komplett ausflippen, aber ich wollte für mich selbst sorgen und ihm beweisen, dass sein kleines Mädchen auch alleine klar kommen würde. Ich seufzte, denn natürlich klappte das nur bedingt…
Nun entschied ich mich doch ihm noch eine SMS zu schreiben und dachte sogar darüber nach ihn zu fragen ob er mich nach meiner Schicht sogar abholen könnte, natürlich nicht in der Bar, aber an der Bushaltestelle in der Nähe. Schnell tippte ich die SMS in mein neues Blackberry.
Nachdem ich fertig war hoffte ich das er mir meine kleine Lüge mit der Balletaufführung verzeihen und nicht stutzig werden würde, aber bisher hatte es auch immer geklappt...